YVONNE, PRINZESSIN VON BURGUND

 

«Wer ist Yvonne?» Dramaturgin Katrin Michaels über die wortlose Hauptfigur als Spiegel ihrer königlichen Peiniger und die Herkunft des Dramatikers Witold Gombrowicz.

 

Versteht ihr denn nicht, dass jemand, der sich in allerseits minderwertiger Lage befindet, kein einziges Wörtlein von sich geben kann, das nicht minderwertig wäre?

Witold Gombrowicz

 

Witold Gombrowicz schrieb «Yvonne, Prinzessin von Burgund» 1935. Er war zu dieser Zeit 31 Jahre alt. Er hatte Jura studiert, ein Jahr in Paris verbracht und erste Texte in Zeitschriften veröffentlicht. Seine adlige Familie ermöglichte ihm ein Bohèmeleben, das er zu großem Teil in Warschauer Intellektuellencafés verbrachte. Das Stück fand wegen seiner «Modernität», wie er selbst schreibt, keine Beachtung. Uraufgeführt wurde es erst 1957 in Krakau.

Auch wenn Gombrowicz die Bequemlichkeiten des Lebens vom Familienvermögen genoss, zeichnet er seine Schicht in seinen Werken mit karikierenden Zügen. «Ich habe schon ungefähr mit zehn Jahren etwas Ekelhaftes entdeckt», schreibt er später in seinem Tagebuch, «die Tatsache nämlich, dass wir ‹Herrschaften› ein vollkommen groteskes und sinnloses, törichtes und schmerzhaft komisches, ja sogar widerwärtiges Phänomen sind!»

Er beschreibt einen Generationsbruch zwischen denen, für die ihre Selbstverständlichkeiten eben selbstverständlich sind, und seiner eigenen Generation, der die Künstlichkeit ihrer Verhaltensweisen und auch die Ausbeutung, auf der ihre Privilegien beruhen, offensichtlich sind. Er muss aber auch feststellen, dass die bloße Feststellung dieses Umstands keine Handlungsanleitung enthält, wie man sich denn besser verhalten könne.

In verschiedenen Werken beschreibt er die Sehnsucht nach jemandem Dritten, einer neutralen Beobachtungsposition, die all das Irreale sichtbar macht, das meist unter dem Anschein – oder der Behauptung – der Normalität verborgen bleibt. Wer aber könnte so eine Position einnehmen? Rückblickend erzählt er auch hier von einem Offenbarungsmoment im Gespräch mit einer flüchtigen Bekanntschaft im Skiurlaub, einer jungen Frau aus einfachen Verhältnissen: Plötzlich wird ihm klar, dass diese «als Frau berufen ist, über Männer zu richten».

In seinem Stück «Yvonne, Prinzessin von Burgund» erfährt man über die Hauptfigur sehr wenig. Alle Beschreibungen sind Zuschreibungen anderer Figuren und wenn man das Stück nicht liest, sondern sieht, kann man nicht einmal sicher sein, ob diese junge Frau überhaupt Yvonne heißt. Denn erst nach einem Drittel des Stücks wird sie mit einem Namen angesprochen und nicht mit «Fräulein» oder einem Schimpfwort. Eine Rolle wird ihr allerdings schon früher zugewiesen – die des Sündenbocks oder der Sündenziege, wie Gombrowicz scherzt.

Betrachten wir den Text knapp hundert Jahre später, scheint uns diese Rolle sehr wohl bekannt – und wir versuchen, dafür heutige Gründe zu finden. «Wer ist Yvonne?», ist wohl die meistgestellte Frage während der Probenarbeit. Ist sie wirklich arm oder hässlich? Wie hält sie es mit der Religion? Und was impliziert es, wenn eine Schwarze Schauspielerin diese Rolle spielt? Die anderen Rollen scheinen uns selbstverständlich, auch wenn wir in Deutschland schon lange keine Königin und keine Kammerherren oder Hofdamen mehr haben.

Gombrowicz ging es nicht um eine Charakterisierung seiner Hauptfigur – dann hätte er sie ja beschrieben. Yvonne ist kein Sündenbock. Sie ist ein Spiegel, der die anderen Figuren auf sich zurückwirft und sie mit Bildern von sich konfrontiert, die sie nicht aushalten können.

Stattdessen müssen sie bemerken, wie verachtend viele ihrer Verhaltensweisen sind. Auch zu dem Unbehagen mit den eigenen Rollen – einer Königin, zum Beispiel, die sich nur im stillen Kämmerlein eingestehen kann, dass sie am liebsten keine wäre – bietet er keine Alternative, keinen Ausweg. Er zeigt aber, welche Gewalttaten aus dieser Verunsicherung erwachsen: Dass lieber der Spiegel attackiert, als das Selbstbild, die Rolle und die damit verbundene Position in der Hierarchie ins Wanken gebracht wird.
Katrin Michaels


Das Programmheft zu «Yvonne, Prinzessin von Burgund» ist erhältlich an der Theaterkasse, in den Foyers oder zum Download hier.